„Die Welt von unten“ – Mary Norton und ihre Geschichten über die Borger
Wer kennt das nicht? Auf mysteriöse Weise verschwinden am helllichten Tag Gegenstände im Haus: hier ein Kerzenstummel, dort ein Bleistift, eine heruntergefallene Nudel und anderes… Doch wohin verschwinden alle diese Dinge?
In ihren Büchern über die Borgmännchen bzw. Borger aus den Jahren 1952, 1955, 1959, 1961 und 1982 gibt die britische Kinderbuchautorin Mary Norton darauf eine Antwort. Das Thema des Miniatur-Menschen, der die uns bekannte Welt aus einer gänzlich neuen Perspektive sieht, inspiriert Autoren und Filmemacher seit jeher. Den Reiz der Geschichten über die Borger macht meiner Meinung nach vor allen Dingen Mary Nortons fantasievolle Beschreibung dieses Mikrokosmos aus. Auch die Angst der Borger von Menschen entdeckt zu werden, lässt eine Grundspannung aufkommen. Dass es die Borger gibt, ist ein wohlgehütetes Geheimnis, dass die Autorin in den Büchern mit den lesenden Kindern teilt.
Im Fischer Verlag sind im Jahr 2015 und 2016 drei Bände der erfolgreichen und preisgekrönten Borger-Reihe herausgebracht worden, die mit modernen, farbigen Bildern der polnischen Illustratorin Emilia Dziubak ausgeschmückt wurden:
„Die Borger“ von Mary Norton/Emilia Dziubak (1952)
Lesealter: ab 10 Jahren
©2015, Sauerländer Fischer Verlag, ISBN978-3737340120
Eine Leseprobe findet Ihr unter:
www.fischerverlage.de/media/fs/308/LP_978-3-7373-4012-0.pdf
„Die Borger in den Feldern“ von Mary Norton/Emilia Dziubak (1955)
Lesealter: ab 10 Jahren
©2016, Sauerländer Fischer Verlag, ISBN 978-3737353731
„Die Borger auf dem Fluss“ von Mary Norton/Emilia Dziubak (1959)
Lesealter: ab 10 Jahren
©2016, Sauerländer Fischer Verlag, ISBN 978-3737354400
Beim ersten Blick auf die Buchcover beschleicht einen das Gefühl, dass man es hier mit einer Geschichte über Elfen zu tun hat. Beim genauen Hinsehen bemerkt man aber, dass im Nacken des kleinen Wesens keine Flügel, sondern eine Wäscheklammer sitzt. Dies deutet auf die Lebensaufgabe der Borger hin: Die Winzlinge borgen sich nämlich, was sie zum Leben brauchen. Sie wohnen daher in der Nähe der Menschen, in deren Häusern sie hinter Wänden, unterm Fussboden oder hinter Möbeln ein scheues, geheimes Leben führen. Besucht man das Borgerkind Arrietty (auf dem Buchdeckel dargestellt) und ihre Eltern stellt man fest , dass sie sich mit viel Erfindungsreichtum und einem großen Geschick beim Borgen ein komfortables Heim mit fließendem Wasser und sogar Gas eingerichtet haben. Gerade die vielzähligen Ausführungen über die Einrichtung und den Einfallsreichtum der Borger machen den Reiz der Erzählungen aus.
Im Vorwort der Fischer-Ausgabe findet man zusätzlich Informationen zu der Herkunft der englischen Nachnamen der Borger und ihre Übersetzung ins Deutsche. Diese Übersicht ist kindgerecht aufbereitet und lehrreich. Dennoch bevorzuge ich zur Lektüre die eingedeutschte Version der Borger- nämlich die Bücherreihen über die „Borgmännchen“ aus dem Herder und Benziger Verlag. Hier finden sich deutsche Pendants zu den charakteristischen englischen Vornamen und fantasievoll eingedeutschte Nachnamen. So werden aus Homily, Pod, Arrietty, Onkel Hendreary, Tante Lupy und Eggletina aus der Fischer-Ausgabe die Namen Ticke, Tack, Arriettchen, Onkel Hinkel, Tante Lupine und Gackeline. Das ist natürlich reine Geschmackssache und ich kann mir gut vorstellen, dass die neue Fischerausgabe mit ihren farbigen, modernen Bildern für Kinder heute eher ihren Reiz hat. Dennoch strahlen die Buchausgaben des Benziger Verlags, die von Walter Grieder illustriert wurden, für mich etwas Urgemütliches und Liebenswürdiges aus und laden ein, das Buch auch für jüngere Kinder als Vorlesebuch zu verwenden. Denn tatsächlich sind die Rahmenerzählungen und vielfältigen Wendungen der Borgmännchen-Reihe komplex und sollten eventuell im Gespräch mit den Kindern besprochen werden. Die große Schrift dieser Ausgaben erleichtert Leseanfängern das Lesen.
Hier nun eine Übersicht über die drei Bände der „Borgmännchen“-Reihe aus dem Benziger Verlag:
„Die Borgmännchen“ von Mary Norton/Walter Grieder (1952)
Lesealter: Kinder
©1972, Benziger Verlag, ISBN354531068X
Die kleine Käthe erfährt von Frau Mai, dass es Borgmännchen gibt. Diese hat es von ihrem kleinen Bruder erfahren, der bei einem Besuch bei seiner Tante Sophie Begegnung mit Ariettchen’s Vater Tack machte, als dieser gerade wieder „borgen“ war. Trotz der Warnungen ihrer Eltern freundet sich Arriettchen mit dem Jungen an. Zum Ende des Buches wird die Familie auch von anderen Hausbewohnern entdeckt und muss mit der Hilfe von Arriettchen’s neuem Freund flüchten.
„Die Borgmännchen in Busch und Feld“ von Mary Norton/Walter Grieder (1955)
Lesealter: Kinder
©1973, Benziger Verlag, ISBN 3545310728
Der zweite Band der Borgmännchen-Reihe beginnt dort, wo der erste geendet hat. Käthe ist mittlerweile 11 Jahre und begleitet Frau Mai in ihr neues Haus. Dort berichtet ihr Tom, eine alter Mann und bisheriger Bewohner des Hauses, dass die Borgmännchen in seinem Haus Unterschlupf fanden. Vorher hatten sie nach der Vertreibung aus dem Herrenhaus von Tante Sophie noch einige Abenteuer in Busch und Feld zu bestehen. Sie hatten kurz nach ihrer Flucht einen alten, ledernen Herrenstiefel entdeckt, den sie sich wieder als heimeliges Zuhause zurecht machten. Natürlich war das Leben in der freien Natur sehr gefährlich und entbehrungsreich. Besonders Arriettchens Mutter Tacke setzte der Verzicht auf Komfort und Bequemlichkeit zu. Zum Glück freundete sich Arriettchen mit dem Borgjungen Klecker an, der die Familie mit Nahrung und anderen geborgten Dingen versorgte. Als ihr Stiefel-Unterschlupf von einem Zigeuner entdeckt wurde, konnten die Borgmännchen mit Klecker’s Hilfe und der Hilfe des blonden Jungen Tom fliehen und fanden ihre tot geglaubte Verwandtschaft Onkel Hinkel, Tante Lupine und deren Kinder zum Schluss des Buches in Tom‘s Elternhaus wieder.
„Die Borgmännchen – Abenteuer am Fluss“ von Mary Norton (1959)
Lesealter: Kinder
©1974, Benziger Verlag, ISBN3545310736
Im dritten Band berichtet der alte Tom der aufgeregten Frau Mai und Käthe wie es mit der Borgerfamilie weiter ging: Sie finden Schutz im Elternhaus des jungen Tom und freuten sich die Familie Onkel Hinkels wiederzusehen. Allerdings kommt es nach kurzer Zeit zu Spannungen und so beschließen Ticke und Tack schweren Herzens mit ihrem Töchterchen Arriettchen weiterzuziehen. Gott sei dank können sich die drei Borgmännchen wieder auf die Hilfe ihres Freundes Klecker verlassen! Und diese haben sie auch nötig, denn sie reisen diesmal durch Abflussrohre und auf dem Fluss…
Im Herder-Verlag erschienen in den 50er und 60er Jahren die ersten deutschen Ausgaben der Borgmännchen-Saga. Diese wurden übersetzt von Theresia Mutzenbecher und Peter Kent, deren Übersetzungen später auch im Benziger Verlag verwand wurden:
„Die Borgmännchen“ von Mary Norton( 1952)
©1955, Herder Verlag
Diese Ausgabe wurde 1956 auf die Auswahlliste des Deutschen Jugendbuchpreis gesetzt.
„Die Borgmännchen in Busch und Feld“ von Mary Norton (1955)
©1957, Herder Verlag
„Die Borgmännchen zu Schiff“ von Mary Norton(1959)
©1962, Herder Verlag
Im Fischer-Verlag ist Ende der 90er Jahre eine Taschenbuch-Reihe erschienen, die auch die letzten beiden Bände der Borger-Saga umfasst. Diese Ausgaben wurden von Christiane Jung übersetzt und von Diana Stanley und Pauline Baynes illustriert:
„Die Borger“ von Mary Norton/Diana Stanley (1952)
Lesealter: 8-10 Jahre
©1999, Fischer Verlag, ISBN978-3596800629
„Die Borger in den Feldern“ von Mary Norton/Diana Stanley (1955)
Lesealter: ab 10 Jahren
©1996, Fischer Verlag, ISBN978-3596800872
„Die Borger auf dem Fluss“ von Mary Norton/Diana Stanley (1959)
Lesealter: 10-12 Jahre
©1997, Fischer Verlag, ISBN978-3596800889
www.fischerverlage.de
Arrietty und ihre Eltern Pod und Homily haben dank Spillers Hilfe auf dem Fluss zur Miniaturstadt in Fordham gefunden, die der begeisterte Bastler und Bahnruheständler Mr. Pott in liebevoller Detailarbeit in seinem Garten gebaut hatte. Die Anlage umfasst ein Dorf mit einem Bahnhof und einer elektrischen Eisenbahn. In einem Haus lässt sich die Borger-Familie nieder und richtete es sich nach und nach wohnlich her. Mit Hilfe der Modellpuppenbauerin Miss Menzie, mit der Arrietty schnell eine geheime Freundschaft geschlossen hat, wird es in dem kleinen Modellhäuschen richtig gemütlich. Das Leben mit den Krümelresten der Besucher und dem warmen Heim hätte so schön sein können, wenn nicht ein Unglück dazwischen gekommen wäre.. Die Borger-Familie wird vom habgierigen Mister Platter und seiner Frau Mabel entführt, die als Konkurrenten zu Mr. Pott auch eine Modellattraktion im Nachbarort betreiben. Hier wollen sie die Borger als Besuchermagnet in einem Glaskasten ausstellen. Zunächst halten sie Arrietty und ihre Eltern auf dem Dachboden versteckt und versorgen sie mit Milch und Essensresten. Die Borger verstellen sich als steife Modellfiguren und erkunden in den Stunden ohne Betreuung den Dachboden. Schließlich fällt der kleinen Arrietty eine Lösung ein: Sie basteln mit Materialien, die sie auf dem Dachboden finden, einen Heißluftballon und können der Gefangenschaft entkommen. Zunächst kehren sie in ihr ehemaliges Heim in Mr. Potts Modelldorf zurück und finden es von Miss Menzie und Spiller wundervoll renoviert und möbliert vor. Aber die Entführung ist nicht spurlos an Arrietty’s Eltern vorbei gegangen und aus Angst wieder habgierigen Menschen in die Hände zu fallen, beschließen sie sich eine neue, abgeschiedene und ruhige Bleibe zu suchen.
„Die Borger in den Lüften“ von Mary Norton/ Diana Stanley(1961)
Lesealter: ab 10 Jahren
©1997, Fischer Verlag, ISBN978-3596800896
„Die Borger am Ziel“ von Mary Norton/ Pauline Baynes(1982)
Lesealter: ab 10 Jahren
©1997, Fischer Verlag, ISBN978-3596800896
www.fischerverlage.de
Zu Beginn des letzten Buchbandes über die Borger machen sich Spiller und Pod auf die Suche nach einem sicheren Heim für die kleine Borgerfamilie. Als sich alle auf Spillers Boot auf den Weg machen, treffen sie auf dem Fluss wieder den bösartigen Mr. Platters und seine Frau. Zum Glück bleiben sie unentdeckt und können am Garten des Pfarrhauses von Fordham anlegen. Nach einem langen Fussmarsch durch den Pfarrgarten kommen sie endlich am unbewohnten Pfarrhaus an und sind begeistert! Bei ihren Erkundungen treffen sie den Borger Peagreen Overmantel und dürfen zunächst in seine Borgerwohnung einziehen, bis sie sich selbst eine Wohnung hergerichtet haben. Auch Tante Lupy und Onkel Hendrearys ziehen nach einiger Zeit mit ihren Kindern in die benachbarte Kirche. Das Ehepaar Platters hat aber erneut die Verfolgung der Borgerfamilie aufgenommen und bricht in die Kirche ein. Dabei werden die beiden Ganoven erwischt und abgeführt. Endlich können die Borgerfamilien ungestört leben und borgen…