„Drauß‘ vom Walde komm ich her“ – Knecht Ruprecht in Bilderbüchern
Im protestantischen Raum wollte man nach der Reformation das Heiligenfest des Bischofs Nikolaus der katholischen Kirche nicht übernehmen. Hier tritt eine neue Weihnachtsgestalt auf: der Knecht Ruprecht, der meist einen braunen, schwarzen oder dunkelroten Mantel und Pelzmütze oder Zipfelmütze trägt. Dieser Mann wird meist sehr naturverbunden beschrieben und ist freundlich zu den Tieren. Auch beschert der Knecht Ruprecht traditionell nicht am Nikolausabend, sondern am Heiligabend oder am 1.Weihnachtsfeiertag.
„Teddys Weihnachten“ von Lena Hahn/Fritz Baumgarten (1956)
Lesealter: 3-6 Jahre
©2012, Titania Verlag, ISBN978-3864726002
Dieses Bilderbuch verbindet die typische Baumgarten-Wichtelwelt mit der Weihnachtsvorstellung vom Knecht Ruprecht, der sich am Heiligabend vom Himmel auf den Weg zu den Menschenkindern auf der Erde macht. Dabei sitzt auf dem großen Gabensack ein Teddybär, der für den kranken Klaus gedacht ist. Die Fahrt mit dem Silberschlitten zur Erde übersteht der Teddy gut. Doch nach einer kurzen Rast bei den Tieren des Waldes geht der kleine Bär verloren. Zum Glück ist gleich in der Nähe eine Wichtel-Backstube. Dort wird Teddy in der weihnachtlich geschmückten Wichtelhöhle von den Wichteln freudig aufgenommen. Hier lässt sich vergnüglich leben: am nachmittag geht Teddy mit den Wichteln Rodeln und am Weihnachtsabend strahlt Teddy vor Freude beim Anblick des hell erleuchteten Weihnachtsbaums. Doch der gute Knecht Ruprecht hat den Verlust des Teddybären bemerkt und holt ihn bei den freundlichen Wichteln wieder ab. Nun bringt er den Bären zu Klaus, der mit einem gebrochenen Arm allein zuhause in seinem Bett liegt. Dieser freut sich besonders über den Besuch des Knecht Ruprechts und über den langersehnten Teddybären.
Das Buch handelt – wie der Titel „Teddys Weihnachten“ deutlich macht- von den Eindrücken des kleinen Teddybären am 24. Dezember. Der Bär ist Identifikationsfigur für das betrachtende Kind, das auf diese Reise mitgenommen wird und Teddys Eindrücke miterlebt und mitfühlen kann. Jede Bildseite wird von 3 kurzen Paarreimen begleitet. Die Figuren von Fritz Baumgarten sprechen aufgrund ihrer kindlichen Mimik den Betrachter direkt an und setzen die Verse von Lena Hahn unmittelbar um. Der Knecht Ruprecht ist hier traditionell mit schwarzer Pelzmütze und pelzbesetztem roten Wintermantel dargestellt. Ein alter Mann mit einem langen weißen Rauschebart, einem Jutesack und einer schwarzen ledernen Umhängetasche. Dieses Bild spiegelt die romantische Vorstellung des Knecht Ruprechts im deutschen Volksglauben und passt gut zur Naturidylle des Wichtelwaldes. Die Bildkomposition ist harmonisch und spricht einfach das Herz an. Ein schöner Weihnachtsklassiker!
„Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm/Klaus Ensikat (1862)
Lesealter: 4-7 Jahre
©2016, Berlin, Kindermann Verlag, ISBN978-3934029699
www.kindermannverlag.de
Theodor Storm schrieb das Gedicht „Knecht Ruprecht“ im Jahr 1862 im Alter von 45 Jahren. Es zählt zu den klassischen Weihnachtsgedichten und bildet das Kernstück der Erzählung „Unter dem Tannenbaum“, in dem er autobiografisch und volkstümlich einen Weihnachtsabend in der Familie darstellt. Obwohl Theodor Storm sehr liberal war, spiegelt es doch eine spirituell-ästhetische oder sogar religiöse Heimat. Das Gedicht wurde bei Großfamilie Storm am Heiligen Abend wohl auch szenisch nachgestellt. Es lässt sich in 2 Dialoge teilen: zunächst der Dialog des Knecht Ruprechts mit dem Christkind und danach der Dialog mit dem Familienvater, der gegenüber dem Knecht Ruprecht als Fürsprecher der Kinder agiert. Insgesamt spiegelt das Gedicht ein romantisches Bild vom Knecht Ruprecht als naturverbundenem, treuen Gesellen des Christkindes. Dieser wird vom Christkind am Heiligabend ausgesandt, um abzufragen, ob die Kinder des Hauses auch brav, gelehrsam und gläubig waren. Bei Beschwerden der Eltern droht der Knecht Ruprecht mit der Rute. Im Gedicht zeigt es sich aber, dass die Kinder trotz „trotzigen Kindermutes“ im vergangenen Jahr ihren Pflichten nachkamen. So leert Knecht Ruprecht seinen Gabensack aus, der Kuchen, Äpfel und Nüsse enthält. Und kündigt für den Weihnachtstag den „Kerzenschein“ des Christkinds und dessen „bessere“ Gaben an.
Das vorliegende Bilderbuch aus der Reihe „Poesie für Kinder“ zeigt parallel zur romantischen Darstellung des Autors Theodor Storm einen Knecht Ruprecht in der Tradition des Realismus. Da der Weihnachtsmann mittlerweile viele Bilder von Nikolaus und Ruprecht verdrängt hat, zeigt sich dieser Knecht Ruprecht im einfachen Weihnachtsmanngewand und mit einem Rentierschlitten voller Geschenke. Das Gesicht und die Mimik vermitteln das Bild eines etwas grobschlächtigen, älteren Mannes mit weißen Haaren und weißem Bart. Die Heimat des Knechts Ruprechts im Wald wird auf den ersten Seiten gezeigt. Hier ist die heimische Tierwelt mit bunten Paketen in Maul und Schnabel dargestellt. Dann verlagert sich die Handlung in eine Fußgängerzone mit Weihnachtsmarkt und Wohngebiete der Altstadt. Das Lokalkolorit hat 80er Jahre-Charme. Dies ist neben der Kulisse auch auf die Kleidung der wimmelnden Menschen zurückzuführen. Was die Darstellung der Personen so besonders macht, ist die überproportionale Größe der Köpfe und deren ausdrucksstarke Mimik. Hier findet man verzehrtes Lächeln, skeptische Blicke, ausdruckslose Blicke, Schadenfreude, mürrische Blicke und rotwangige Freude. Besonders die Kinder wirken in ihrer Mimik verzerrt. Der Knecht Ruprecht ist -neben einigen Kindern- der einzige der gegen diese unterkühlte Weihnachtsstimmung anschmunzelt und anlacht.
Mir persönlich gefällt diese künstlerische Übertragung des Textes in Bilder der modernen Zeit nicht. Zwar lässt es einige Verse in neuem Licht erscheinen, aber die warmen, heimeligen Bilder, die beim Lesen des Gedichts vorm inneren Auge aufsteigen, bedienen die Illustrationen Ensikats nicht. Es konterkariert das Storm‘sche Bild vom Knecht Ruprecht und den Kindern auf eine gewisse Weise und entzaubert den Text. Das ist sehr schade, denn Klaus Ensikats Adaption des Osterspaziergangs von Johann Wolfgang von Goethe in eben dieser Reihe „Poesie für Kinder“ hat mich absolut überzeugt und auch emotional berührt.
Knecht Ruprecht (von Theodor Storm, 1862)
Ruprecht: Habt guten Abend, alt und jung
bin allen wohl bekannt genung.
Von drauß vom Walde komm ich her;
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen;
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
Knecht Ruprecht, rief es alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder weihnachten werden!
So geh denn rasch von Haus zu Haus.
such mir die guten Kinder aus,
damit ich ihrer mag gedenken
mit schönen Sachen sie mag beschenken.
Ich sprach: O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist.
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo’s eitel gute Kinder hat.
Hast denn das Säcklein auch bei dir?
Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier,
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
freßen fromme Kinder gern.
Hast denn die Rute auch bei dir?
Ich sprach: die Rute die ist hier.
Doch für die Kinder, nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.
Christkindlein sprach: So ist es recht.
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!
Von drauß, vom Walde komm ich her,
Ich muß euch sagen es weihnachtet sehr!
Nun sprecht wie ich’s hierinnen find:
sind’s gute Kind., sind’s böse Kind?
Vater: Die Kindlein sind wohl alle gut,
haben nur mitunter was trotzigen Mut.
Ruprecht: Ei, ei, für trotzgen Kindermut
ist meine lang Rute gut!
Heißt es bei Euch denn nicht mitunter:
Nieder den Kopf und die Hosen herunter?
Vater: Wie einer sündigt so wird er gestraft;
die Kindlein sind schon alle brav.
Ruprecht: Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
lesen und scheiben und rechnen genug?
Vater: Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft,
wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.
Ruprecht: Beten sie denn nach altem Brauch
im Bett Ihr Abendsprüchlein auch?
Vater: Neulich hört ich im Kämmerlein
eine kleine Stimme sprechen allein;
und als ich an die Tür getreten,
für alle Lieben hört ich sie beten.
Ruprecht: So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
probiert einmal von seinen Gaben
morgen sollt ihr was beßeres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.
Heut hält es noch am Himmel Wacht;
nun schlafet sanft, habt gute Nacht.